Kategorien
- Ausstellungsdoku
- Dokumentation Performance
- Film und Video
- Künstler*innengespräch
- Neues
- Programm
- Veranstaltungen
Blick-Wechsel
495 views
0 favorites
''Dieses Video ist vor allem eine Plastik. Jedoch nicht in den klassischen Materialien und Substanzen wie Marmor, Holz und Fett, sondern im relativ substanzlosen, immateriellen elektronischen Medium. Als solche artikuliert sie nicht den vergangenen Raum klassischer Vorstellungen mit seinen konstanten Größen, sondern die künftige relativistische elektronische Raumzeit. Anders als bei den Skulpturen aus Holz und Eisen, wo Raum und Zeit gefroren sind, wo die räumlichen und zeitlichen Beziehungen unveränderliche Größen bleiben, sind in elektronischen Skulpturen die räumlichen und zeitlichen Beziehungen veränderbar, da in ihnen nicht nur die Bilder, sondern auch die Bildinhalte selbst beweglich sind, und zwar vollkommen unabhängig voneinander.
Diese relative und veränderbare Größe der Dinge im Bild selbst, die ich Skalierung nenne, ermöglicht es, die Objekte der Welt beliebig zu verkleinern und zu vergrößern; als frei flottierende Zeichen des Raums kann ich sodann diese Objekte beliebig verschieben und in eine neue Art von Mikro- bzw. Makro-Architektur verwandeln. Alle Objekte werden frei verfügbar, in ihrer Größe veränderbar und in jeder Position einsetzbar. Die Elemente der Landschaft und der Stadt werden zu Mikrochips des Raumes. In der elektronischen Skulptur. Zum Beispiel der größte Wasserfall der Welt (die Niagara-Fälle) in der Kaffeetasse, die Kontinente als Wolken hinter der Skyline. Diese imaginären, künstlichen Landschaften schaffen neue räumliche Beziehungen, wo der gesamte Code des Raumes verfügbar und solcherart zu einem All-Raum (in Parallele zum Raum-All) wird. Desgleichen tendiert die Bewegung in den Bildern – ihre Gestalt in der Zeit, ihr Rhythmus, der sich wiederum nicht auf das Bild selbst und seinen Schnitt beschränkt, sondern auch für die zeitliche Gestaltung der Bildelemente selbst gilt, für ihre Wiederkehr und ihren Wandel -, zu einem Zeitbegriff, wo ebenfalls alle Zeitelemente frei verfügbar sind. Diese All-Zeit, in der die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft virtuell gleichwertig sind und in einer universalen Simultaneität zusammenfließen, in einem infiniten Jetzt, korrespondiert also mit dem All-Raum, dem infiniten Hier. Die elektronische Plastik artikuliert also jene neue Raumzeit, welche die elektronischen Medien eingeführt haben, visualisiert einen neuen piktorialen Raum.''
(Quelle: Ausschnitt aus dem Text ''Gesänge des Pluriversums'' von Peter Weibel zur Ars Electronica 1986; http://90.146.8.18/de/archives/festival_archive/festival_catalogs/festiv...)