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Blick-Wechsel
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Die Computeranimation The Golden Hour zeigt einen Landschaftsausschnitt von einem fixen Kamerastandpunkt aus. Im Vordergrund sieht man ein im Wind wogendes Getreidefeld, dahinter eine sanft hügelige Landschaft mit vereinzelten Siedlungen. Die wogenden Getreidehalme geben den Blick auf ein am Dach liegendes Auto frei. Außer dem Getreide und dem Rauch, der aus dem Auto dringt, ist an der Unfallstelle nichts Bewegtes zu vernehmen. Die Szene in ländlicher Umgebung ist im Licht der tief stehenden Sonne dramatisch gefärbt.
In der Fotografie wird diese spezielle Lichtstimmung als „Golden Hour“ bezeichnet. Derselbe Begriff wird aber auch in der Notfallmedizin verwendet: damit wird jener Zeitraum (von wenigen Minuten bis zu einer Stunde andauernd) bezeichnet, in dem unter Schock stehende Schwerstverletzte bei sofortiger medizinischer Versorgung die besten Überlebenschancen haben. The Golden Hour ist eine Verbindung aus kontemplativer filmischer Landschaftsbetrachtung und – angesichts des noch rauchenden Unfallautos – des traditionell in der Malerei verorteten Genres der "Memento Mori"-Darstellungen. Autounfälle sind Ursache Nummer 1 und damit auch das bekannteste zeitgenössische Symbol für gewaltsamen Tod.
Die digital inszenierte Landschaft ist durch Beleuchtung und Bildausschnitt formal an Motive flämischer Landschaftsmalerei des 18. Jahrhunderts angelehnt. Trotz der offensichtlichen Abwesenheit von Handlung können narrative Zusammenhänge vom Betrachter konstruiert werden, die Arbeit versucht Spekulationen zu einer möglichen Story zu evozieren.
Ausgeführt mit rein digitalen Mitteln ist The Golden Hour ein Versuch von Synthetisierung der Alltagswahrnehmung bei gleichzeitiger Reduktion der Bildelemente auf eine fast piktographische Ebene. Damit unterstützt auch das technische Format diese Irritation und trägt zum Bedeutungstransfer (kontemplative Landschaft ist zugleich Unfallsort) bei. Auch wegen der indifferenten Tonspur (Mix aus Wind, zirpenden Grillen, Autoradio) changiert diese Computeranimation zwischen Simulation und Phänomenologie.
(Franz Schubert)